Was machen die Farben im Raum mit uns?
Farben sind ein riesiges Thema und ein extrem einflussreiches. Es ist oft das einfachste Mittel, um einen Raum zu verändern. Was nicht so einfach ist, ist die Farbwahl selbst.
Aus der Psychologie wissen wir viel über die Wirkung der Farben. Sie bietet uns eine Orientierung und unterstützt uns, die richtigen Farben für die gewünschte Atmosphäre auszuwählen. Wichtig ist dabei, dass das Wissen aus der Psychologie keine konkreten Farben vorgibt, sondern eine geeignete Bandbreite an Farbtönen. Aus diesen kann ein Farbkonzept entstehen oder sie können in eine bestehende Situation einfliessen, so dass es insgesamt ein harmonisches Ergebnis gibt. Testen kann man das Ganze am besten mithilfe eines Moodboards, einer Art Farb- und Material-Kollage.
Der Farbpsychologe Axel Buether unterscheidet die biologische und die kulturelle Bedeutung der Farben. Während die biologische tief in uns verankert ist und uns seit vielen Jahrtausenden beim Überleben hilft, ist die kulturelle Bedeutung feiner, wandelbarer und nicht ganz so universell. Wenn wir eine geeignete Farbe wählen wollen, müssen wir beide Faktoren berücksichtigen. Steigen wir also konkret ein in die Welt der Farben.

Rottöne
Die intensivste und energiereichste Farbe ist Rot. Sie ist biologisch gesehen eine Signalfarbe. Als reife Frucht ist sie eine Handlungsaufforderung zum Pflücken und Essen, sie macht uns Appetit und aktiviert uns. Kulturell haben wir uns diese Wirkung zunutze gemacht, indem wir beispielsweise Lippen rot schminken und so Aufmerksamkeit erzeugen. Auf eine andere Art aktiviert uns rotes Blut, es versetzt uns in Alarmbereitschaft. Die Farbe Rot steht deswegen auch für Brutalität, Kampf und Aggression. Damit verknüpft ist die Assoziation von Stärke, Macht und Dominanz.
Rot ist also eine extrem intensive Farbe und sollte sehr sparsam und bewusst in Räumen eingesetzt werden. Für ganze Wände eignet sie sich nur in abgetönter Form. Ein sehr dunkles Rot wirkt beispielsweise intim und beschützend wie eine sichere Höhle, ein Braun-Rot wie Ocker oder Ton wirkt warm und erdend. Beides kann temporär angenehm sein, beispielsweise in einem Café oder Restaurant. In Räumen, in denen man sich häufiger aufhält, kann es aber mit der Zeit erdrückend wirken. Auch rote Möbel oder Accessoires sollten sorgfältig gewählt werden, sie springen sofort ins Auge und können einen Raum unausgewogen wirken lassen. Rot ist per se eine dominante Farbe und kommt am besten dort zum Einsatz, wo sie gezielt aktivieren soll.

Grüntöne
Während Rot die intensivste Farbe ist, ist Grün die harmonischste. Grün ist so wichtig für uns Menschen, dass wir im Verlauf der Evolution gelernt haben, viel mehr Töne zu unterscheiden als bei allen anderen Farben. Wir verbinden sie mit Pflanzen und potenziell nahrungsreicher Natur. Aus diesem Grund entspannt uns eine grüne Umgebung. Sie löst Assoziationen von Gesundheit, Heilung, Ruhe, Natur und Frieden aus.
Aus diesen Gründen ist Grün eine geeignete Farbe für die Gestaltung von Räumen. Aber auch hier gilt: ganze Wände besser nur in abgetönter Form wie ein helles Salbeigrün oder auch ein dunkles Tannengrün. Beides kann sehr entspannend wirken. Es kommt wie immer darauf an, wie es sich in das Gesamtkonzept integriert. Da wir so viele unterschiedliche Grüntöne unterscheiden können, ist eine gute Abstimmung untereinander besonders wichtig, damit die Farben harmonieren. Töne mit ähnlicher Sättigung, also ähnlicher Farb-Intensität, passen meistens gut zusammen.

Blautöne
Blau ist weltweit die beliebteste Farbe. Wir verbinden sie mit den zwei für uns lebenswichtigsten Ressourcen: Luft und Wasser. Dazu kommt die Assoziation von Weite: der unendlich erscheinende Himmel, das Meer, die blauen Berge in der Ferne. Die Farbe Blau wirkt also rein, leicht, frei und friedlich, sie ist aber auch sehr kühl und unnahbar. Sie wird mit Sehnsucht und Melancholie verbunden.
Wände in Blautönen können das Gefühl von Weite in Innenräume bringen. Für Tätigkeiten, bei denen wir uns einen klaren Kopf wünschen, können ruhige Blautöne unterstützen. Obwohl die Töne entspannend wirken, können sie für Wohnräume jedoch zu kühl sein. Es kommt auf die Klimazone und die persönlichen Bedürfnisse an. Wer mit Zuhause einen warmen, kuscheligen Ort verbinden möchte, sollte die Wände nicht blau streichen und auch mit blauen Möbeln und Accessoires vorsichtig umgehen.

Gelb- und Orangetöne
Die meisten von uns denken bei Gelbtönen an Sonne und Sommer. Gelb und Orange sind fröhliche, strahlende und freundliche Farben. Sie sind warm, aber weniger intensiv als Rot. Wir verbinden sie auch mit mediterranen oder tropischen Früchten. Wie Rot ist Gelb in der Natur aber auch eher punktuell oder temporär vorhanden, in Form von Nahrung oder der warmen Abendsonne. Bei Tieren hat ein grelles Gelb oft eine Warnwirkung und wir verbinden es mit Gefahr oder Gift.
Im Raum eingesetzt können Gelb- und Orangetöne Spass und Freude vermitteln. Es kann aber auch schnell penetrant werden und zu gewollt oder kindisch-spielerisch wirken. Harmonischer wirken natürliche Materialien wie helle Hölzer und naturbeige Stoffe, die Gelbtöne enthalten. Diese können auch gut grossflächig eingesetzt werden. Ins Braun übergehende Orangetöne, wie zum Beispiel Terra-Cotta oder Kupfer, können einen Raum erden und wärmen.

Pink- und Violetttöne
Rosa und Lila werden heute oft mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht: vom Barbie-Pink und Feen-Rosa bis zur violetten Protestfarbe des Frauenstreiks. Das war früher anders. Während Rot für Männlichkeit stand, war Rosa als das «kleine Rot» für Jungen vorgesehen. Dies zeigt, dass Pinktöne besonders stark durch unsere kulturelle Prägung beeinflusst sind. In der Natur kommt Pink und Violett vor allem in Blüten vor, flüchtig bei Sonnenauf- und untergängen sowie in menschlichen Hauttönen. Die Farben stehen für Schönheit, Romantik, Zartheit und Spiritualität.
Wie bei Rot und Gelb sind Pink und Violett eher Signalfarben, wenn auch etwas dezenter. Auf grossen Flächen können sie dennoch eine beruhigende und zart-romantische Atmosphäre erzeugen, wenn sie abgetönt verwendet werden. Für den Maler Van Gogh war ein Lavendel-Ton die beste Farbe für das Schlafzimmer: beruhigend, aber nicht zu kalt. Wände, Kissen oder auch Kleidung in Blass-Pink oder Altrosa lassen uns weicher und schutzbedürftiger erscheinen. Rosa und Violett in Räumen kann eine friedliche und zugewandte Stimmung fördern, solange die Farben nicht zu grell sind.

Weisstöne
Die Farbe Weiss steht für Reinheit. Sie ist wie Schwarz eigentlich keine Farbe, sondern setzt sich aus der Kombination von allen Lichtfarben zusammen. Damit ist sie neutral und kann mit allem kombiniert werden, sie reflektiert das Licht und hellt damit ihre Umgebung auf. Aus diesen Gründen ist sie die beliebteste Raumfarbe. Einheitlich weisse Räume wirken aber schnell beliebig und unpersönlich. Interessant ist Weiss vor allem in feinen Grau- und Farbabstufungen.
Alle zuvor genannten Farben können mit Weiss gemischt werden, sodass sehr helle Farbtöne entstehen, die auf den ersten Blick weiss wirken, aber die Qualitäten der Farben mitbringen. Gelbliche oder rötliche Weisstöne wirken warm und erdend. Sie schaffen eine geborgene Atmosphäre und lassen einen Raum eher kleiner wirken. Grünliche Weisstöne wirken friedlich, harmonisch und frisch, können aber auch eine Spital-Atmosphäre verbreiten. Bläuliche Weisstöne sind sehr kühl. Sie lassen Räume grösser wirken und sind gut geeignet für Gebäude in heissen Klimazonen. Dadurch, dass sie psychologisch kälter wirken, empfinden wir die Luft im Raum auch körperlich als weniger warm und können Kühlenergie sparen. Wer in der neutralen Palette bleiben möchte, kann die Decke in einem reinen Weiss streichen, die Wände etwas dunkler im hellsten Hellgrau, und den Sockel wieder etwas dunkler. Dies ist ein klassisches Prinzip, das den Raum nach oben hin «öffnet», ihn höher erschienen lässt und gleichzeitig sanft strukturiert.

Schwarztöne
Schwarz verbinden wir mit Nacht und Dunkelheit. Es ist geheimnisvoll und unheimlich. Da wir im Dunkeln sehr schlecht sehen – im Gegensatz zu den meisten Raubtieren – fühlen wir uns unsicher. Evolutionär war die Nacht eine gefährliche Zeit für den Menschen. Gesellschaftlich bedeutet Schwarz Status und Macht, ausgedrückt im Understatement von edlen schwarzen Anzügen, Kleidern oder Autos. Es ist eine Farbe der Distanz und der Abgrenzung, nicht richtig greifbar und unnahbar. Schwarz dient aber auch zur Inszenierung des Lichts und verleiht den anderen Farben Tiefe.
Schwarze Möbel und Accessoires wirken edel und zeitlos. Die Regel «60/30/10+S» für eine harmonische Farbverteilung, beschreibt mit +S, dass es in jedem Raum etwas Schwarzes geben sollte. Schwarz und Weiss bilden in gewisser Weise den Rahmen für alle Farbtöne dazwischen, sie stecken die Extreme ab, geben dem Raum Struktur und wirken ordnend. Grossflächig eingesetzt erzeugt Schwarz einen dramatischen Effekt, indem es Menschen und Gegenstände hervortreten lässt und sie inszeniert wie in einem Theater. Aus Clubs oder Bars kennt man auch schwarz gestrichene Decken. In einem solchen Umfeld «verschwindet» eine schwarze Decke inklusive Haustechnik im Dunkeln und öffnet den Raum, während sie in einem Wohnzimmer eher bedrückend wirken würde.
Achtsamer Einsatz von Farben
Alle Farben wecken in uns Assoziationen und erzeugen eine Wirkung im Raum, der wir uns nicht entziehen können. In meinen Text habe ich versucht, einen Überblick zu geben und zu sensibilisieren, denn der achtsame Einsatz von Farben ist wichtig. Wer mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich die Bücher «Die geheimnisvolle Macht der Farben» von Axel Buether und «Farbe – der Guide für Design und Kunst» von Laura Perryman.